Wie wird man eigentlich … Innenarchitekt?

Foyer Wohnhochhaus (Foto: Marco Warmuth)

Foyer Wohnhochhaus (Foto: Marco Warmuth)

Die Tomatenpflanzen ranken mit leuchtend roten Früchten am Fenster in die Höhe. An der Wand sprießt ein vorwitziger Efeuzweig in den Raum hinein. Ich befinde mich im Laden des Innenarchitekten Michael Antons. Mit ihm habe ich mich über seinen Beruf und seinen Weg dahin unterhalten.

Du arbeitest als Innenarchitekt. Nenne mir drei Beispiele deiner Arbeit für Kunden.

Ich erarbeite Raumkonzepte. Dabei frage ich: welche Funktionen sollen durch den Raum erfüllt werden? Ich erarbeite die Austattung, bestimme die Farben und überlege mir das Lichtdesign. Ein gutes Beispiel ist das Foyer eines Hochhauses, das ich gestaltet habe. Ziel war die freundliche Gestaltung von Flur, Durchgangsräumen und Verteilern. Bewohner sollen sich eingeladen fühlen einzutreten und einen positiven ersten Eindruck vom Gebäude bekommen. Reizvoll für mich waren die plastische Gestaltung, das Farbkonzept und die Ausgestaltung der Beleuchtung. Wichtig sind allerdings auch Brandschutz und Verhindern von Vandalismus. Ich arbeite dabei mit Partnern wie Eletrofirmen, Lichtplanern und Spezialisten wie Floristen zusammen.

Gibt es spezielle Herausforderungen bei solchen Projekten?

Meine Projekte sollten möglichst kreativ sein. Es passiert, dass ich mich kreativ überfordere. Ich biete Dinge an, die ich noch nicht kann. Dann arbeite ich mich Fachleuten zusammen und lerne dabei sehr viel. Wir experimentieren und bringen Kompetenzen zusammen. Oft entsteht dabei etwas Neues. Zum Beispiel pflanzt eine Floristin Blumen in einen Betontopf von mir, der an der Wand hängt. Wir schaffen im besten Fall Synergieeffekte für alle.

Nutzen auch Privatpersonen deine Dienstleistungen?

Für Privatleute biete ich Spezialarbeiten an. In Wohnungen tauchen Fragen auf, wie nach der Gestaltung einer Nische. Dort wo Ikea oder Möbel Höffner nicht weiterwissen, fängt meine Arbeit an. Gemeinsam mit dem Kunden erarbeite ich eine individuelle Lösung. Dabei lerne ich den Menschen kennen, gehe auf ihn ein und bringe meine Ideen mit dazu. Jedes Projekt war bisher individuell und eine Inspiration. Ich konnte noch kein Projekt Eins zu eins kopieren.

Wenn du deine Arbeitsergebnisse für Kunden in einem Satz zusammenfassen müsstest, welchen würdest du wählen?

Ich entwickle mit Ihnen zusammen Räume, die Ihren Wünschen entsprechen und die Ihre Gewohnheiten herausfordern.

In welchem Zusammenhang kam dir zum ersten Mal der Gedanke, dass Innenarchitekt ein passender Beruf für dich ist?

Die Studienberaterin meiner Hochschule hat mir gesagt, zur Tischlerlehrer passt am besten das Studium Innenarchitekt. Die gestalterische und künstlerische Leidenschaft hat ein Kunstlehrer beflügelt. Er war ein toller Künstlertyp und hat sein Fach spannend und bewußtseinserweiternd vermittelt. Er hat uns Beuys nähergebracht – einfach ein Telefon und einen Klumpen Lehm auf den Schreibtisch gepackt. Kunst wurde begreifbar und anschaulich. Ein Schlüsselerlebnis war die Erstellung einer Kunstausstellung mit dem Thema Spiegel. Mitschüler haben mit Spiegelscherben Geräusche produziert, aufgenommen und dann in einer Endlosschleife abgespielt. Er hat uns von Papier und Pinsel befreit. Kunst ist nicht nur gut abmalen können. Es geht um die Vielfältigkeit des künstlerischen Ausdrucks, um Installationen, Audioproduktionen, Skulpturen oder Happenings.

An welchem Fähigkeiten kann man bei einem jungen Menschen erkennen, dass er das „Zeug“ zum Innenarchitekten hat?

Sehr wichtig ist das räumliche Vorstellungsvermögen. Er sollte ein selbstständig denkender Mensch sein, ein Gespür für die Wünsche der Kunden und Offenheit für die möglichen Lösungen haben. Weitere Eigenschaften sind: innovativ, erfinderisch und in der Lage sein, Neues zu schaffen.

Du hast eine Tischlerlehre absolviert. Hast du dort die handwerklichen Grundlagen für deinen Beruf gelernt?

Ja, einen Teil der Grundlagen und handwerkliches Denken; in Werkzeugen, in Material. In anderen Gewerken wie Steinbearbeitung oder Schneidern wechseln Material und Werkzeug, aber die Denkstruktur ist oft ähnlich.

Wie genau hat dein Ausbilder dafür gesorgt, dass du dein Können entwickelt hast?

Er hat mir Freiheiten gelassen, was auch daran lag, dass er etwas chaotisch war. Dadurch musste ich permanent mitdenken und war früh mit Aufgaben zum Selberlösen konfrontiert. Gelernt habe ich durch unterschiedliche Wege: ein Meister hat mich machen lassen, ein anderer hat mir sehr viele praktische Dinge gezeigt. Ich erinner mich an geflügelte Worte wie „Gut gehobelt ist halb geschliffen“ oder „Es ist kein Möbel“ nach dem Motto: das passt schon.

Du warst auch auf Wanderschaft. Wie ist es dazu gekommen?

Ich habe im Zivildienst ein Foto von einem Wandergesellen gesehen. Das war ein Schlüsselerlebnis. Mich reizte die Reise, drei Jahre unterwegs sein. Ich habe dann Kontakt zu Reisenden gesucht und mein Wunsch hat sich gefestigt.

Was und wo hast du auf der Wanderschaft gelernt?

Ich konnte noch viel mehr Know How als in der Lehre lernen. Ich machte mich auf die Suche nach Leuten, die mir das beibringen. Dabei habe ich erst die Neuen Bundesländer bereist und dann die Schweiz, Ungarn, Tschechien und Russland.

An welche Station deiner Wanderschaft erinnerst du dich am liebsten?

Im Oderbruch hat mich ein Allroundhandwerker beeindruckt. Bei ihm habe ich Fenster für ein Bienenhäusschen hergestellt. Er war auf historische Fenster spezialisiert und hat mir am meisten beigebracht. Gerne erinnere ich mich noch an den Kahnbau im Spreewald, einen Orgelbauer und die Schnitzkunst im Erzgebirge. Ich habe gedrechselt, geschnitzt und Holz über dem Feuer krummgebogen.

Welches Projekt hat dich am meisten herausgefordert?

Eine Herausforderung war besonders der Treppenbau. Man muss extrem gut räumlich denken. In Russland haben wir eine Treppe für ein Waisenhaus gemauert. Dort lernte ich auch die russische Mentalität und deren Kunst des Improvisierens kennen.

Entwickelt man sich durch eine Wanderschaft auch persönlich weiter?

Ja, auf jeden Fall. Ich habe Gelassenheit, Dinge einfach auf sich zu kommen lassen mitgenommen. Und ich habe erlebt, wenn man sich bewegt, dann passiert auch was. Wenn man Wünsche beim Namen nennt, dann gehen sie auch in Erfüllung. Manchmal wünschten wir uns nur Abends im Warmen sitzen und Tee zu trinken und es hat sich erfüllt. Ich habe mir noch gewünscht an einem Scheunenbauprojekt mitzuarbeiten, was auch geklappt hat.

Du hast dann Innenarchitektur an der Burg Giebichenstein studiert. Welcher Teil des Studiums hat dich am meisten vorangebracht?

Im Hauptstudium habe ich die Arbeit des Innenarchtekten gelernt. Doch wichtig war auch das Grundlagenstudium: das Auge schulen, künstlerisches Sehen trainieren, künstlerisches Bewerten. Das Grundlagenstudium ist für alle Fächer, alle Designer und Künstler fast gleich.
In einem Betonprojekt habe ich unglaublich viel und umfassend gelernt. Das waren schnelle Ideenfindung, günstiges Material kennen, denken in Formen, die Spannung auf das Ergebnis. Der Formbau war sehr komplex. Man musste die Form so vorbereiten, das ein fertiges Produkt herauskommt. Die Erfahrungen umfassten auch die Vermarktung und Verträge. Bei mir ist fast eine Art Sucht nach Beton entstanden.
In einem selbstverwalteten Studentenprojekt, einem Laden in der Stadt, haben wir viel ausprobiert. Wir haben ein Programm gestaltet, Veranststaltungen organisiert und Pressearbeit und Flyer gemacht. Zu den Veranstaltungen gehörten Wettfahrten auf dem Hometrainer oder ein Gierschprojekt mit Stadtbepflanzungen, Gierschgerichten und -plätzchen.

Hast du dort von den Professoren und Mitarbeitern gelernt weil sie selbst sehr gut in ihrem Fach waren oder haben sie eher die richtigen Aufgaben gestellt, die dich weitergebracht haben?

Eher das zweite. In dem Betonprojekt haben wir selber gelernt und uns gegenseitig inspiriert. Das lief bilderbuchmäßig ab. Wir haben ein Riesenspektrum erfahren. So haben wir uns die Betonforschung an einer Hochschule und ein Zementwerk angesehen. Ein großer Teil war auch einfach „machen“. Der Professor nannte es „explorating design“ – „gestalten durch machen und ausprobieren“. Andere finden Planen sehr wichtig. Meine jetzige Arbeit ist eine Mischung aus Beidem.

Du hast später selbst an der Burg gelehrt. Inwiefern hat dich das Lehren auch selbst weitergebracht?

Ich habe das fortesetzt, was ich schon im Studium gemacht habe. Allerdings erreicht man ein neues Level. Wenn man anderen etwas erklärt, muss man sich selbst noch klarer darüber werden.

Gibt es Vorbilder – eine Art „Stardesigner“ – deren Arbeiten dich inspiriert haben?

Es sind verschiedene – ein paar in der klassischen Moderne, Le Corbusier oder Mies van der Rohe, die waren einfach radikal in ihren Ansichten. Sie haben mit dem Gewohnten gebrochen und aufgeräumt, das war sehr mutig und hat bis heute Bestand.
Ein heutiges Vorbild ist die Gruppe Raumlabor in Berlin. Die steht dafür, den Gestaltungsbegriff erweitert zu haben.

Wie kommst du auf die Ideen bei der Umsetzung deiner Aufträge? Verwendest du eine bestimmte Methode?

Ich hole mir Inspiration aus dem Internet und nutze die Google Bildersuche als Werkzeug. Dabei bilden diese eher nicht das gesuchte Wort ab, sondern bringen mich weiter. Ich verknüpfe sie dann mit neuen Materialien und Disziplinen und schaffe etwas Neues. Auch wenn ich mit dem Fahrrad durch die Stadt fahre, finde ich ständig neue Bilder, die mich inspirieren.

Was ist deine Empfehlung für zukünftige Innenarchitekten?

Unsere Aufgabe ist es, Menschen durch unsere Arbeit zu überzeugen. Innenarchitektur bringt gute und schöne Lösungen hervor. Es muss auch nicht teuer werden. Ich möchte ihnen Mut machen, an sich zu glauben und empfehle einfach dranbleiben. Wenn ein Innenarchtekt sich für seine Arbeit einsetzt, dann nutzt das dem ganzen Berufsstand. Das ist stärker als Konkurrenzdenken.

Was möchtest du in Zukunft noch lernen?

Das sind drei Dinge: Schweissen, nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) abrechnen und besser verhandeln.

Du hast ein neues Produkt entworfen wie z.B. die Blumenhalter aus Beton – was ist befriedigender – das neue Produkt am Ende oder die neuen Arbeitsabläufe, die du dafür entwickelt hast?

Letzteres.

Wenn du ein Budget von 1 Million Euro hast und dein Projekt frei wählen könnest. Was würdest du umsetzen?

Einen Innenarchitektur-Erfahrungsraum für alle, sozusagen einen Kubus in der Stadt. Er soll ein Begegnungsort für alle sein, der mit Hilfe von Profis und Nichtprofis gestaltet wird. Es wäre ein Experimentierraum für Bewohner der Stadt, für Künstler und alle Interessierten, die sich im Raum begegnen, sich austauschen und aufeinander reagieren.

Gibt es einen Punkt, der dir noch wichtig ist?

Lernen hat das Ziel, dass Menschen selbstbewusste Köpfe und starke Persönlichkeiten werden, die mit Schwierigkeiten kreativ umgehen können.

Im Folgenden sehen Sie einige Werke von Michael Antons (interanton.de):

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